Algorithmen

Ich lese gerade einen futuristischen Krimi aus dem Jahr 1996. Imaginiert wird 2014 mit teils erstaunlich zutreffenden Vorhersagen: Präventive Verbrechensbekämpfung aufgrund spezifischer Persönlichkeitsmerkmale und Gehirnstrukturen existiert bereits, Helikopter mit hochempfindlichen Sicht- und Abhörgeräten kreisen über der Stadt, und die Polizeibehörden der EG (EU) haben ihre Datenbanken vernetzt.

royal-air-force-chinook-flies-london
Royal Air Force Chinook über London

Internet, Facebook, Twitter & Co. konnte der Autor nicht voraussehen, ebenso wenig wie den Siegeszug der Algorithmen.

Das Setting: Ein überdurchschnittlich intelligenter Serienmörder treibt sein Unwesen in London. Die Chefinspektorin von Scotland Yard will ihn mit einer Pressekonferenz zu einem Bekennerbrief animieren, um ihm mittels linguistischer Analyse und weiterer kriminologischer Methoden auf die Schliche zu kommen.

Ein eisiger Schreck durchzuckt mich. Was wäre, wenn die Algorithmen eines Tages so perfektioniert wären, dass man mit ihnen Texte im Stil berühmter Autor*innen verfassen könnte? Das Schicksal der Brüder Karamasow nach der Flucht, oder das der Heldinnen Jane Austens in Fortsetzungen?

Es klingt zwar unglaubwürdig, schon heute aber gibt es den „Roboterjournalismus“; durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) entstehen so aus „Rohdaten“ Fußballberichte oder andere einfache Pressetexte. Die linguistische Perfektionierung der entsprechenden Sprachsoftware erscheint keinesfalls abwegig.

Machen wir uns nichts vor, Google ist auf dem besten Weg, einen Teil der Übersetzer*innen überflüssig zu machen. Mit seinem Übersetzungstool lassen sich englische Texte in durchaus annehmbares Deutsch übersetzen.

Humanoide Roboter, Smart Home oder selbstfahrende Autos, sie alle werden sicher auch zunehmend „intelligentere“ Sprachsysteme erfordern. Weshalb sollte die Entwicklung im Bereich der künstlichen Linguistik also nicht mit der gleichen Energie vorangetrieben werden?

Bevor ich mit diesem Albtraum einschlafe (es ist 02.19 Uhr), flüchte ich lieber zu den Büchermenschen von „Fahrenheit 451“. Männer und Frauen, die abgelegene Wälder einer dystopischen Zukunft durchstreifen, wo sie Gedichte oder Romane von Kafka und Proust vor sich hinmurmeln, um sie vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren.

fahrenheit
Oskar Werner und Julie Christie bei den Buchmenschen. Szene aus „Fahrenheit 451“ (1966), Regie: Francois Truffaut

Oder sollte ich meine Zukunftsängste mit einem Kopfschütteln abtun und überlegen, in welchem Kino gerade „Blade Runner II“ läuft. Den muss ich mir unbedingt ansehen!